EIN SURFER ZUM VERLIEBEN 03 | TEIL 03

Kapitel 1 – 23.12.2015 | Paia | Maui | Hawaii | WARDEN

Ein Geräusch ließ Warden zusammenzucken. Sein Herz raste und er war schlagartig hellwach. Behutsam, um Lindsay nicht zu wecken, setzte er sich auf und lauschte in die Dunkelheit hinein. Waren das Schritte? Der Surfer hielt den Atem an. Ja, eindeutig. Irgendwer befand sich im Erdgeschoss. Der Surfer nahm die Pistole aus dem Waffensafe und schlich nach unten. Er verharrte auf einer Treppenstufe, als er das Quietschen des Kühlschranks vernahm. Jemand hatte ihn geöffnet. Einen Moment lang war Warden versucht, die Waffe wegzustecken, denn welcher Einbrecher begab sich als Erstes auf die Suche nach etwas zum Essen, dann fiel ihm jedoch ein, dass es durchaus Drogen gab, die hungrig machten.

Also hielt er die schwere Pistole schussbereit in beiden Händen und näherte sich der Küche. Er erkannte den Eindringling, auch wenn dieser mit dem Rücken zu ihm stand, augenblicklich. „Bryce!“, zischte er verärgert. „Was zur Hölle hast du hier zu suchen?“

Sein Freund drehte sich zu ihm herum und hob erstaunt eine Augenbraue. „Was machst du denn hier?“, fragte er schleppend. Offensichtlich hatte er zu viel getrunken.

„Ich wohne hier. Zusammen mit meiner Frau musst du wissen.“

Beschwichtigend hob Aidens jüngerer Bruder die Hände. „Hey, du bist angepisst, weil ich von der Hochzeit verschwunden bin, aber das ist kein Grund mich mit einer Knarre zu bedrohen.“

Warden warf einen verwunderten Blick auf die Waffe in seiner Hand. Die hatte er völlig vergessen. Er legte sie auf den Küchentresen. „Du bist von der Hochzeit verschwunden? Wann?“, fragte er seinen Freund.

„Nachdem diese scharfe Blondine mir ein unwiderstehliches Angebot gemacht hat.“

Warden runzelte die Stirn und erwiderte: „Du stehst doch gar nicht auf Blondinen.“

Bryce öffnete den Schraubverschluss von dem Bier, das er aus dem Kühlschrank stibitzt hatte, und sagte: „Nicht mal du hättest ihr widerstehen können.“

„Und was war mit deinem Keuschheitsgelübde?“

Bryce presste seine Kiefer aufeinander. Die Anspannung, die von ihm ausging, war unübersehbar. „Wenn ich mir die Kleine nicht vorgenommen hätte, dann hätte ich echt Mist gebaut“, stieß er hervor und klang völlig fertig. „Sie sah zum Anbeißen aus und ich hätte nach all der Warterei unmöglich meine Finger von ihr lassen können.“

„Wovon zum Teufel sprichst du?“

„Von Clara. Ich rede von Clara.“

„Du hattest Sex mit Clara, bist du …“

„Nein. Fuck! Ich hatte keinen Sex mit Clara! Ich habe es stattdessen mit diesem Groupie getrieben, das mich angequatscht hat.“

Warden verstand zwar nur die Hälfte von dem, was Bryce von sich gab, war jedoch froh, dass sein Freund die Finger von Veras kleiner Schwester gelassen hatte. Schließlich war Clara erst siebzehn und sie gehörte zur Familie. „Hattest du was mit Clara?“, hakte er daher nach.

„Nein, warum?“

„Sagst du bloß ‚Nein’, weil ich dir sonst die Fresse polieren würde, oder sagst du ‚Nein’, weil wirklich nichts zwischen euch gelaufen ist.“

Bryce nahm einen tiefen Schluck von seinem Bier und erwiderte: „Zwischen uns ist definitiv was. Ich habe Gefühle für sie und sie hat Gefühle für mich. Und bevor du austickst: Wir haben nie über diese Gefühle gesprochen, aber das müssen wir auch nicht. Sie sind da und für uns beide deutlich spürbar.“

Warden seufzte leise. „Aber du hast die Finger von ihr gelassen?“ Bryce nickte. „Und stattdessen mit einer anderen geschlafen, richtig?“

Ein erneutes Nicken folgte, dann fügte Bryce hinzu: „Ich komme mir vor wie ein Arsch.“

„Das liegt daran, dass du ein Arsch bist“, kommentierte Warden die Situation trocken. Bryce zeigte ihm den Finger, ehe er sich ein zweites Bier aus dem Kühlschrank schnappte. „Was? Es ist nur die Wahrheit.“

„Klar, dir ist das ja noch nie passiert.“

„Was?“

„Na, dass dein Schwanz versehentlich in eine andere gerutscht ist. Ich sag nur Tammy.“

Was seine Ex-Frau betraf, quälte Warden noch immer ein schlechtes Gewissen, doch er wäre nicht hier, wenn er in der Vergangenheit nicht die Fehler gemacht hätte, die er sich heute eingestand. Nichts geschieht ohne Grund, rief er sich in Erinnerung, sagte jedoch an Bryce gewandt: „Ich habe nie behauptet kein Arsch zu sein. Und, was machst du jetzt mit Clara?“

„Warten bis sie achtzehn ist. Das ist jedenfalls der Plan.“

„Und dir zwischendurch etwas die Zeit mit anderen Frauen vertreiben?“

Bryce zuckte mit den Schultern. „Wie du weißt, habe ich versucht darauf zu verzichten. Der Ausbeute von deiner Hochzeit nach zu urteilen, mit mäßigem Erfolg.“

„Sieh zu, dass sie es nicht rausfindet und du ihr nicht das Herz brichst. Sonst muss ich dir doch noch die Knochen brechen.“

Bryce nickte schicksalsergeben. „Keine Sorge, ich passe auf.“ Warden verkniff es sich, Bryce den Vorschlag zu unterbreiten, einfach seinen Schwanz in der Hose zu lassen. Er kannte Aidens jüngeren Bruder lange genug, um zu wissen, dass das an ein Ding der Unmöglichkeit grenzte. Bryce war ein noch üblerer Aufreißer als Warden es jemals gewesen war – und Warden hatte kaum etwas anbrennen lassen.

Inzwischen bedauerte er sein Verhalten allerdings, denn durch seine wilde Vergangenheit fiel es Lindsay schwer, ihm zu vertrauen, und zugegeben war es nicht immer einfach, standhaft zu bleiben. Warden wusste nur zu gut, was Bryce damit gemeint hatte, das Groupie hätte ihm ein unwiderstehliches Angebot gemacht. Diese Angebote bekam er immer noch, doch für solche Frauen war er absolut austauschbar. Er war bloß irgendein erfolgreicher Kerl mit viel Kohle. Für Lindsay hingegen war er die Welt.

Bei dem Gedanken an sie erinnerte er sich daran, dass sie oben allein im Bett lag und er fragte Bryce: „Also, was verschafft mir die Ehre deines nächtlichen Besuchs?“

„Ich wusste nicht, wo ich sonst hin sollte und da ich dachte, ihr wärt in Flitterwochen, hatte ich beschlossen hierher zu kommen“, gestand Bryce. „Was macht ihr eigentlich noch hier? Ich dachte, ihr wärt gestern gefahren.“

Warden unterließ es, Bryce dafür zu rügen, dass dieser nicht nur von der Hochzeit verschwunden war, sondern allem Anschein nach auch nie zuhörte. „Wir fahren erst nächsten Sonntag. Wir haben beschlossen, dass es schön wäre, Weihnachten mit euch zu feiern und Lindsay war das auch alles zu eng.“

„Verständlich. So eine Hochzeit ist ein ganz schöner Aufwand. Unfassbar, dass du dir das zwei Mal gegeben hast.“

„Irgendwann kommst du auch unter die Haube.“

„Nie im Leben!“

„Und was, wenn Clara dich Trottel heiraten will? Was dann?“

Bryce schluckte beklommen und zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, aber sie ist noch so jung …“

„Du denkst, dass dir das Zeit verschafft, was? Aber irgendwann kommt sie ins heiratsfähige Alter und was wirst du dann tun?“

„Du stellst vielleicht Fragen. Das weiß ich doch jetzt noch nicht.“ Warden gab ein mürrisches Schnauben von sich und warf Bryce einen bösen Blick zu. „Was? Sag bloß, du hast bei Lindsay von Anfang an ans Heiraten gedacht? Sorry, aber das kannst du mir nicht erzählen. Du wolltest bloß in ihr Höschen, mehr nicht.“

„So wie du bei Clara?“ Warden konnte nicht verhindern, dass seine Stimme einen bedrohlichen Tonfall bekam. Er liebte Clara wie eine Schwester und er sorgte sich um sie. Wenn er einen seiner ältesten Freunde in die Schranken weisen musste, um ihre Ehre und ihre Jungfräulichkeit zu schützen, dann würde er das tun.

„So habe ich es nicht gemeint“, kam es von Bryce.

„Wie hast du es denn sonst gemeint?“ Warden musterte sein Gegenüber, das sich mit beiden Händen durch die blonden, strubbeligen Haare fuhr, eindringlich.

„Ich weiß es nicht, okay? Ich habe zu viel getrunken und ich hätte dir das nie erzählen dürfen.“

Warden sagte dazu nichts. Er war froh, dass Bryce diese Sache rausgerutscht war und er fragte sich, warum er nicht vorher eins und eins zusammengezählt hatte. Schließlich hatte Clara ihm gebeichtet, dass sie sich beim Urlaub auf Hawaii in einen älteren Kerl verliebt hatte. Rückblickend war es offensichtlich, denn Bryce und sie verbrachten wirklich viel Zeit zusammen. Dennoch war es beiden ausnehmend gut gelungen, ihr Interesse am jeweils anderen zu überspielen.

Bryce seufzte. „Wenn du dich so scheiße fühlst, dann war es das offensichtlich nicht wert, was?“, fragte Warden.

„Nein, sie war es nicht wert, aber immerhin sind meine Eier nicht mehr schlumpfblau.“ Nee, wahrscheinlich haben sie jetzt die Größe von Rosinen, dachte Warden, unterließ jedoch den Kommentar. „Keinen Plan, wie ich es noch ein dreiviertel Jahr ohne Sex aushalten soll. Meinst du, sie hat Sex?“

„Darüber will ich nicht nachdenken, Alter. Wie ich bereits sagte: Sie gehört zur Familie. Sie ist meine Beinahe-Schwägerin und minderjährig. Wenn du eine Rechtfertigung brauchst, warum du kein Dreivierteljahr warten kannst und dir stattdessen anderweitig Erleichterung verschaffst …“

Bryce hob abwehrend die Hände. „Jaja, schon gut. Ich habe es geschnallt. Mal angenommen, Lindsay würde dich ein Dreivierteljahr nicht ranlassen, was würdest du dann machen?“

„Würde sie nicht.“

„Aber mal angenommen …“

Mich erschießen, dachte er spontan und äugte zu der Pistole auf dem Tresen. Gott, das war eine wirklich grauenhafte Vorstellung. „Es mir selbst machen bis ich Schwielen an den Händen habe“, murmelte er. Allein der Gedanke deprimierte ihn zutiefst.

„Siehst du, wie scheiße das ist? Ich empfinde so für Clara seit ihrem ersten Besuch hier. Ich weiß auch nicht. Sie hat mir einfach den Kopf verdreht. Sie ist süß, lustig, nicht auf mein Geld aus. Fuck, sie hatte keine Ahnung wer ich überhaupt bin – und doch war es so, als wäre ich in ihren Augen alles, verstehst du?“

„Ich verstehe dich nur zu gut, Bro“, erwiderte Warden seufzend. Es gefiel ihm nicht, dass da etwas zwischen den beiden war, denn er hatte Angst um Clara. Bryce würde sie früher oder später verletzten, da führte kein Weg daran vorbei.

Bryce kam um den Tresen herum und setzte sich auf einen der Barhocker. Er wirkte niedergeschlagen. „Ich bin nicht mit ihr zusammen. Ich muss ihr nicht treu sein.“

„Wenn du das so siehst“, entgegnete Warden tonlos. „Aber was glaubst du, wie sie sich fühlt, wenn sie es herausfindet?“

„Wird sie nicht.“

„Gut.“

„Das ist alles?“

„Was hast du erwartet?“

„Mindestens ein blaues Auge, eher eine gebrochene Nase, so was in die Richtung.“

„Tja, die Zeiten ändern sich. Du kannst im Gästehaus schlafen, wenn du willst.“

Bryce zuckte mit den Schultern. „Ja, vielleicht ändern sich die Zeiten, aber die Menschen, Bro, die ändern sich nicht.“ Warden gab Bryce wortlos den Schlüssel und machte sich dann auf den Weg ins Bett und zu seiner Frau. Bryce’ Worte gingen ihm durch den Kopf und ließen ihn nachdenklich zurück. Er hatte sich verändert. Seit Lindsay in sein Leben getreten war, war viel geschehen und er war nicht mehr so wie noch vor rund zwei Jahren. Er sah die Dinge in einem anderen Licht und er verhielt sich anders. Er hatte sich verändert und zwar, weil er es gewollt hatte. Es war seine Wahl gewesen. Bryce irrte sich: Menschen konnten sich sehr wohl ändern, wenn sie es nur wollten.